Ein bisschen Denksport

muss sein

Essen war noch nie so bequem wie heute: Take-Away, Lieferservice oder bereits fixfertig zubereitete Menüs im Supermarkt – was will man mehr? Auch Tiere in Gefangenschaft sollten das fertig vorgesetzte Futter doch eigentlich zu schätzen wissen. Eine vom Schweizerischen Nationalfonds und der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanzierte Studie zeigt jedoch, dass Ziegen beim Fressen die Herausforderung mögen – und sie sind nicht die einzigen!

Die Studie zeigt, dass sich Ziegen gerne eine Belohnung mit einer Anstrengung verdienen, auch wenn sie die Belohnung einfach so bekommen könnten. Im Experiment mit Zwergziegen und mit auf hohe Milchleistung gezüchteten Milchziegen konnten die Forschenden beobachten, dass sich die Tiere beider Zuchtlinien bereitwillig am Versuch beteiligten. Die Ziegen waren motiviert, eine Schiebetüre zu öffnen, um an einen Leckerbissen in Form einer ungekochten Pasta zu kommen, während die gleiche Belohnung gleichzeitig auch frei verfügbar war. Von den 57 beobachteten Ziegen entschieden sich 53 in mindestens einem von 10 Durchgängen für den Leckerbissen hinter der zu öffnenden Tür. Zwischen den beiden Rassen gab es nur geringfügige Unterschiede: Milchziegen zeigten immer gleich grosses Interesse, während Zwergziegen zuerst zögerten, dann aber zunehmend häufiger die geschlossene Türe wählten. Sollten sich diese Resultate unter realen Bedingungen auf einem Bauernhof bestätigen, wäre das ein wichtiger Beitrag zur Erforschung tiergerechter Haltung.

Tiere wollen fürs Futter arbeiten
Der Begriff zum Verhalten, das die Ziegen zeigten, heisst "Contrafreeloading", ein Phänomen, das bei domestizierten Tieren und bei in Gefangenschaft lebenden Wildtieren nachgewiesen ist. Gemeint ist die Beobachtung, dass Tiere sich lieber anstrengen und geistig «arbeiten», um eine begehrte Ressource zu finden. Das könnte bedeuten, dass Tiere sich nicht gerne einfach "frei füttern" lassen wollen. Ob dies auch in freier Wildbahn so ist, ist bisher nicht bekannt.

Andere Studien haben gezeigt, dass Contrafreeloading bei grösserem Hunger und mit zunehmendem Aufwand, der erforderlich ist, um ans Futter zu kommen, unwichtiger wird. Ein Erklärungsansatz für Contrafreeloading ist darum, dass Tiere fürs Futter arbeiten, um ihre Einschätzung dieser "schwierigen" Futterquelle zu aktualisieren. Denn schliesslich könnte die frei verfügbare Futterquelle plötzlich versiegen und die mit Aufwand verbundene Quelle bliebe als einzige übrig. Contrafreeloading wäre unter natürlichen Bedingungen also adaptiv.

Es gibt aber noch weitere Hypothesen, warum Contrafreeloading bei Tieren existiert: Vielleicht versuchen die Tiere so, ihr natürliches Nahrungssuchverhalten auszuleben. Auch eine Art Ventilfunktion für in Gefangenschaft nicht auslebbare Verhaltensweisen wäre denkbar. Oder ganz einfach: Sie tun es aus purem Spass!

Sind auch wir Menschen besser als unser Ruf?
Contrafreeloading scheint nicht aufs Tierreich beschränkt zu sein. Studien in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts haben gezeigt, dass auch wir Menschen es vorziehen, uns unsere Belohnung zu verdienen, anstatt uns frei zu bedienen. In vier Experimenten hatten Probanden die Wahl, eine Belohnung entweder durch Drücken eines Hebels oder frei aus einer gefüllten Schale zu erhalten. Tatsächlich gab es eine Präferenz für den Erhalt von Belohnungen durch Hebeldruck. Die Präferenz nahm mit zunehmendem Alter der Probanden von fast 100 % auf etwa 50 % ab. Es wurden keine signifikanten Unterschiede für die Art der Belohnung gefunden, aber für das Geschlecht. Männer haben häufiger den Hebel gedrückt als Frauen.

Contrafreeloading bei allen? Nicht ganz…
Die vom Schweizerischen Nationalfonds finanziert Ziegen-Studie liefert weitere Evidenz zum Contrafreeloading im Tierreich. Die Ziegen gesellen sich diesbezüglich zu zahlreichen anderen Tierarten wie Ratten, Hunden, Vögeln, Fischen und Affen. Fast scheint es: Bei jeder Tierart, bei der man genauer hinschaut, lässt sich eine Vorliebe für Denksport nachweisen. Mit einer Ausnahme: Die Hauskatze zeigt kein Contrafreeloading. Sie bevorzugt den einfachsten Weg zum Futter. Eine Erkenntnis, die wohl keine Katzenhalterin und keinen Katzenhalter überrascht!

 

 

Blog, Die Schlaumäuse https://schlaumaeuse.jimdofree.com/gr%C3%BCnde/

Nina Keil. Ziegen mögen Denksport. FNSNF. http://www.snf.ch/de/fokusForschung/newsroom/Seiten/news-210108-medienmitteilung-ziegen-moegen-denksport.aspx

Tarte Robert D.  (1981). Contrafreeloading in Humans. SAGE journals

Inglis I., Forkman B., Lazarus J. (1997). Free food or earned food? Animal Behaviour (53;6), Elsevier