Glace kann bei der

Chemotherapie helfen

Wenn wir an Glace denken, erinnern wir uns an heisse Sommertage, an die Badi oder Ferien im Süden. Es würden wohl nicht viele Menschen an Chemotherapie und Krebs denken. Aber eine Studie zeigt: Glace kann helfen, die Chemotherapie erträglicher zu machen. Ausserdem ist Glace gut fürs Gemüt – und lecker!

Die Diagnose Krebs ist gefürchtet. Auch wenn es mittlerweile schonende, personalisierte Behandlungsmöglichkeiten für viele Krebsarten gibt, braucht es manchmal Chemotherapie mit ihren schweren Nebenwirkungen. Eine besonders radikale Chemotherapie wird bei verschiedenen Arten von Leukämie durchgeführt. Mit ihr sollen alle Zellen im erkrankten Knochenmark abgetötet werden, bis keine mehr übrig sind. Dann bekommen die Patienten eine Stammzellspende, um das Knochenmark neu mit gesunden Zellen zu besiedeln.

Bei den Nebenwirkungen der Chemotherapie denken wir oft an ausfallende Haare und Übelkeit. Doch die häufigste Nebenwirkung ist orale Mukositis. Das ist eine Entzündung der Schleimhaut im Mund. Was auf den ersten Blick nur etwas unangenehm und nicht sehr gefährlich wirkt, kann lebensgefährlich sein. Mit der Dauer der Therapie wird meist auch die Entzündung im Mund schlimmer, bis die Patient/innen trotz starker Schmerzmittel nicht mehr essen können, sondern über eine Sonde ernährt werden müssen. Ausserdem ist die entzündete Mundschleimhaut durchlässiger für Bakterien. Das ist eine grosse Gefahr für die Patient/innen, denn mit der Chemotherapie wird ihr Immunsystem stark geschwächt. So können bereits wenige eindringende Bakterien eine lebensbedrohliche Blutvergiftung auslösen.

Mit Cryotherapie, also der Behandlung mit Kälte, kann man der oralen Mukositis vorbeugen. Dafür müssen die Betroffenen während der Chemotherapie-Infusion Eiswürfel möglichst lange im Mund behalten. Durch die Kälte verengen sich nämlich die Blutgefässe im Mund, was die Blutversorgung in der Mundschleimhaut verringert. Dadurch haben die Medikamente weniger Kontakt zur Mundschleimhaut und die Entzündung in der Mundhöhle wird gestoppt. Eiswürfel im Mund sind also tatsächlich eine effektive vorbeugende Massnahme gegen die orale Mukositis. Aber wir kennen es aus eigener Erfahrung: Eiswürfel über längere Zeit im Mund behalten ist sehr unangenehm. Deshalb spucken viele Patient/innen die Eiswürfel aus, bevor die Infusion endet. Das brachte Forschende auf die Idee, den Betroffenen in einer Studie Glace statt Eiswürfel anzubieten und zu untersuchen, ob auch Glace das Risiko für orale Mukositis senkt.

Für ihre Studie haben sie 74 Betroffene beobachtet, die vor ihrer Stammzelltransplantation mit hohen Dosen des Chemotherapeutikums Melphalan behandelt wurden. Bei diesem Medikament ist die Cryotherapie besonders wirkungsvoll, weil es sich im Körper sehr schnell abbaut. Man muss also «nur» wenige Stunden lang Eiswürfel oder Glace im Mund haben, um die orale Mukositis zu verhindern. Von den 74 Proband/innen bekamen 52 während der Infusion Glace. Sie durften sich aus dem Angebot der Spital-Cafeteria drei Portionen Glace aussuchen und sollten sie möglichst langsam im Mund tauen lassen. Danach wurden sie im Rahmen der Visite im Spital überwacht und jeden Tag bestimmt, wie stark ihre Mundschleimhaut entzündet war.

Die Ergebnisse sind beeindruckend: Von den 52 Patient/innen mit Glace bekamen 15 eine orale Mukositis, also knapp 30%. Dagegen litten 13 der 22 Patient/innen, die kein Glace bekommen hatten, unter der Entzündung der Mundschleimhaut; das sind knapp 60%. Mit Glace war das Risiko für die gefürchtete Nebenwirkung also um die Hälfte reduziert. Und die orale Mukositis war nicht nur seltener mit Glace, sondern auch weniger stark. Von den Patient/innen, die Glace essen durften, hatte nur jede/r Zwölfte eine schwere Mukositis (Grad 2-4 auf der CTC-AE v 5.0. Skala). Bei den Betroffenen ohne Glace waren es über 40%, also mehr als jede/r Dritte. Ausserdem mussten die Proband/innen, die Glace gegessen hatten, seltener über eine Sonde ernährt werden und blieben im Durchschnitt zwei Tage weniger im Spital. Die Ergebnisse sind eindeutig:  Der Genuss von Glace während der Infusion der Chemotherapie schützt signifikant gegen orale Mukositis. Noch dazu ist die Glace-Therapie günstig, einfach, leicht umzusetzen und sicher weniger belastend als die Cryotherapie mit Eiswürfeln.

Die Forschenden weisen aber darauf hin, dass nur wenige Proband/innen in ihrer Studie untersucht und der Effekt der Glace-Therapie nur im Nachhinein beobachtet wurden. Deshalb möchten sie nun im nächsten Schritt in einer grossen randomisierten Studie die Behandlung mit Eiswürfeln und mit Glace direkt vergleichen.

Für das Komitee des Ig-Nobelpreises waren die Erkenntnisse der Studie dennoch preiswürdig: Das Komitee verlieh dem Forschungsteam aus Warschau in Polen den Medizinpreis des Jahres 2022. Das ist eine satirische Auszeichnung für wissenschaftliche Leistungen, die «Menschen zuerst zum Lachen, dann zum Nachdenken bringen». Und diese Beschreibung trifft auf diese Studie unserer Meinung nach definitiv zu.

Quelle:

Jasiński M, Maciejewska M, Brodziak A, Górka M, Skwierawska K, Jędrzejczak WW, Tomaszewska A, Basak GW, Snarski E. Ice-cream used as cryotherapy during high-dose melphalan conditioning reduces oral mucositis after autologous hematopoietic stem cell transplantation. Sci Rep. 2021 Nov 18;11(1):22507. doi: 10.1038/s41598-021-02002-x. PMID: 34795377; PMCID: PMC8602377.